Dr. Heike Riel: Quantencomputer – Vom Labor in die Praxis

Veröffentlicht auf aipodcast.ch
Interview: Stephan Lendi

Quantencomputer gelten als Schlüsseltechnologie der Zukunft. Doch wie nah sind wir wirklich an ihrem praktischen Einsatz? Im Gespräch mit Dr. Heike Riel, IBM Fellow und Leiterin Science & Technology bei IBM Research Zürich, erfahren wir, wie Quantencomputing funktioniert, welche Herausforderungen noch zu meistern sind und warum Neugier und Verantwortung für Innovation entscheidend sind.

Frau Dr. Riel, Ihr Weg in die Wissenschaft war alles andere als klassisch. Wie sind Sie zur Quantenforschung gekommen?

Ich bin in einer Möbeltischlerei aufgewachsen, nicht in einer Akademikerfamilie. Mein Weg in die Physik war alles andere als geradlinig. Aber ich war immer neugierig und wollte Neues lernen. Nach der Schule habe ich erst eine Ausbildung gemacht, dann das Abitur nachgeholt und Physik und Mathematik studiert. Ein prägendes Erlebnis war mein Aufenthalt im Silicon Valley – dort hatte ich das Gefühl, dass alles möglich ist. Forschung in einem Unternehmen hat mich begeistert.

Was macht Quantencomputer so besonders?

Ein Qubit kann gleichzeitig 0 und 1 sein. Das gibt uns ganz neue Möglichkeiten beim Rechnen. Man kann sich das wie eine Münze vorstellen, die in der Luft schwebt: Solange sie fliegt, ist sie beides – Kopf und Zahl. Erst wenn sie landet, sieht man das Ergebnis. Ein weiteres faszinierendes Phänomen ist die Verschränkung: Wenn zwei Qubits verschränkt sind, beeinflusst das eine sofort das andere – egal, wie weit sie voneinander entfernt sind. Damit können wir Probleme lösen, die klassische Computer nicht schaffen.

IBM verfolgt mit der Starling-Architektur ambitionierte Ziele. Was steckt dahinter?

Wir haben die Technologie Schritt für Schritt verbessert. Jetzt bringen wir alles zusammen, um einen stabilen Quantencomputer zu bauen, der auch mit Fehlern umgehen kann. Fehlertoleranz ist entscheidend, weil Quanteninformation extrem empfindlich ist. Unser Ziel ist, bis 2029 einen Quantencomputer zu bauen, der nicht nur im Labor, sondern auch in der Industrie zuverlässig eingesetzt werden kann.

Welche Rolle spielt Zürich in der Quantenforschung?

IBM Research Zürich ist weltweit führend. Wir entwickeln nicht nur die Hardware, sondern auch die Software und Algorithmen. Unser Ziel ist, dass jeder Quantencomputer nutzen kann, nicht nur Physiker. Die Zusammenarbeit mit internationalen Teams und Universitäten ist dabei enorm wichtig.

Wo werden Quantencomputer künftig eingesetzt?

Große Zahlen zu zerlegen, dauert auf klassischen Rechnern ewig – mit Quantencomputern geht das in Minuten. Das ist wichtig für Verschlüsselung und Sicherheit. Aber auch in der Logistik, Medizin oder Materialforschung können Quantencomputer große Fortschritte bringen. Die ersten industriellen Anwendungen stehen kurz bevor.

Welche Verantwortung tragen Sie als Forscherin?

Wir müssen neue Technologien verantwortungsvoll einsetzen. Uns ist wichtig, dass unsere Arbeit der Gesellschaft nützt. Physik und Mathematik sind für alle da. Wir müssen zeigen, wie spannend sie sind, damit mehr junge Menschen – auch Frauen – sich dafür begeistern.

Dr. Heike Riel zeigt eindrucksvoll, wie nah Quantencomputer an der Praxis sind – und wie wichtig Neugier, Mut und Verantwortung für Innovation sind: „Ich verlasse immer wieder meine Komfortzone, um Neues zu lernen. Genau das bringt uns weiter – in der Forschung und im Leben.“

Kurzbiografie Dr. Heike Riel

Dr. Heike Riel ist IBM Fellow und Leiterin der Abteilung Science & Technology sowie Lead von IBM Research Quantum Europe & Africa am IBM Forschungslabor Zürich. Sie gilt als international anerkannte Expertin für Quantencomputing, Nanowissenschaften und Halbleitertechnologien. Nach einer Ausbildung zur Möbeltischlerin studierte sie Physik an der Universität Erlangen-Nürnberg und promovierte an der Universität Bayreuth. Ihre Forschungsschwerpunkte reichen von organischen Leuchtdioden (OLED) über Nanotechnologie bis hin zu neuartigen Quanten- und Informationstechnologien. Dr. Riel ist Autorin von über 150 wissenschaftlichen Publikationen, Inhaberin von mehr als 50 Patenten und wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der IEEE Andrew S. Grove Award. Sie ist Mitglied der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften und wurde zur Präsidentin der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für die Amtszeit 2026–2028 gewählt.

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